von =MaBu= » Sonntag 14. Februar 2010, 23:19
Liebe Forumsmitglieder,
wie den meisten von euch wohl schon bekannt ist, lebe ich seit 1992 in Uruguay, genauer gesagt seit dem 2. April jenes Jahres. Obwohl ich hier einige einschneidende Erfahrungen gemacht habe, habe ich meinen Umzug nie wirklich bereut.
Ich bin damals prinzipiell aus drei Gründen ausgewandert: Erstens hatte ich damals schon die Nase voll von der zunehmenden Überwachung in D / EU und suchte ein Leben mit mehr Freiheitsgraden, das ich in Uruguay auch fand und genieße. Zweitens verwirklichte ich so einen Kindheitstraum, der lautete: “Ich will in ein Land mit Sonne und Meer”, wobei ich als Kind eher von der griechischen Inselwelt der Ägäis geträumt hatte und Uruguay noch gar nicht kannte. Drittens spielte bei dem Schritt zum Umzug nach Südamerika eine schöne Frau eine wichtige Rolle, meine damalige Ehefrau aus Costa Rica. Die Ehe hat zwar nicht gehalten, aber Uruguay ist geblieben.
Und warum war die Entscheidung für Uruguay gefallen und nicht für ein anderes Land? Es waren die gleichen Gründe, die auch heute noch gelten. Im Vergleich mit anderen Ländern schnitt und schneidet Uruguay immer in der Spitzengruppe ab. Stichworte: politische und wirtschaftliche Stabilität, keine gravierenden sozialen Probleme, null Rassen- oder Ausländerprobleme, gute Infrastruktur, gute medizinische Versorgung, europäisch geprägte Kultur, die egalitärste Wohlstandsverteilung Südamerikas, keine Naturkatastrophen, mildes Klima, vernünftige und bewältigbare Einwanderungsformalitäten, aufgeschlossene Menschen, viel Sonne und Meer und vieeel Freiheit.
Habe ich jetzt etwas vergessen?
Mein Leben in Uruguay begann mit einer Bauchlandung. Mit meiner damaligen Frau eröffnete ich in Montevideo eine Boutique mit dem Namen “Casa Moda” für europäische Markenkleidung und Dessous, weil uns das eine Marktlücke zu sein schien und wir darauf auch Lust hatten. So lernte ich schnell, daß etwas, das wie eine Marktlücke aussieht, auch ein Loch sein kann, in das man fallen kann.
Wir hatten zu guten Preisen eingekauft, wir hatten ein ausgezeichnetes Lokal in einer Spitzengeschäftslage (in der Calle 21 de Setiembre unweit der Rambla), wir hatten eine exklusive Ladendekoration (z.B. mit Schaufensterfiguren der Firma Hindsgaul; so etwas gab es in ganz Uruguay noch nicht; allein schon diese Modepuppen waren ein Spektakel), wir machten gute und viel Werbung in Radio, Fernsehen und mit Modenschauen, und wir hatten auch vernünftige Preise (die gleiche Textilie war bei uns in Montevideo billiger als etwa in Hamburg).
Trotzdem saußten wir vom ersten Tag an im Sturzflug der Pleite entgegen. Wir hatten alles einkalkuliert, nur eines hatten wir nicht in Rechnung stellen können: die uruguayische Mentalität. Die konnten wir als frisch eingereiste Ausländer noch nicht kennen. Auf die harte Tour mußten wir feststellen, daß wir dem uruguayischen Geschmack ungefähr 15 Jahre voraus waren. Unsere Kleidung war den Leuten hier zu feminin und provokativ, obwohl es sich, wie gesagt, um Marken- und Designerware handelte, die sich die Frauen in Berlin, Hamburg, Bremen, Wien, Madrid usw. mit Kußhand angezogen hätten – aber nicht in Montevideo.
Man muß dazu sagen, daß wir einen uruguayischen Unternehmensberater hatten, deutschsprachig, der uns sowohl von der Botschaft als auch von der AHK empfohlen worden war. Der hätte wissen müssen, daß unsere Klamotten nicht für diesen Markt geeignet waren. Wir hatten ihm ja Kataloge und Fotos von den Sachen gezeigt, die wir importieren würden. Doch statt uns zu warnen, hat er nur zu allem Ja und Amen gesagt. Es war ihm schlicht egal, ob wir Erfolg haben würden oder nicht. Er wollte nur seine monatlichen Schecks, sonst nichts.
Am 2. Mai 1992 hatten wir unseren Laden eröffnet. Am 14. Dezember 1992 war die Zwangsversteigerung unserer Waren und Einrichtungsgegenstände. (So schnell kann's gehen.)
Durch diesen Bankrott hatte ich mein ganzes Geld verloren. Einen knappen Monat später war dann auch die Ehe endgültig kaputt. Neubeginn von Null stand also auf dem Programm. Zurück nach D wollte ich nicht, aus Stolz.
Mir waren mein Schäferhund, meine persönliche Kleidung und meine Fotoausrüstung geblieben. So wurde ich Fotograf. Was mein Hobby gewesen war, wurde unverhofft zum Broterwerb.
In allen Tageszeitungen und Zeitschriften hier waren irgendwann einmal Fotos von mir zu sehen – aber glauben Sie nicht, daß man damit gut Geld verdienen kann!
Schnell fand ich heraus, was für einen Fotografen hier das Lukrativste ist: Das sind zum einen Hochzeiten und die 15. Geburtstage der Mädchen, die hier mit großen Feiern begangen werden (eine Art Initiationsritus), und Mode- und Modellfotografie. So trieb ich mich dann als Bildermacher auf Hochzeiten und 15. Geburtstagen herum, und ich stellte mich bei Modedesignern und in Modellschulen als Fotograf vor. In letzteren bot ich an die benötigten Books bzw. Composites zu machen.
Dazu muß man wissen, daß damals praktisch alle Mädchen, die nicht völlig krummbeinig und mit einer Pinocchionase geboren worden waren, unbedingt Model werden wollten. Das paßte zu ihrer Vorstellung vom Leben: ein bischen mit dem Hintern wackeln und dafür Geld kassieren. Auch viele Jungs wollten unbedingt Model werden. Inzwischen hat das, meinem Eindruck nach, nachgelassen. Aber damals waren Modellschulen ein blühendes Geschäft.
Die Mode- und Modellfotographie wurde bald mein Schwerpunkt. Die angesehenste Modellschule von Montevideo, die von Sonia Baldi, hatte mich sozusagen zum Hausfotografen gemacht. Und bald tauchte dann auch der Gedanke auf: Wenn ich schon die Fotos von den Mädels habe, kann ich denen doch auch Arbeit als Models beschaffen. Ich trug diese Idee Sonia Baldi vor. Die stimmte begeistert zu und ließ mich machen. Und so entstand meine Modellagentur “Runway Models”, die natürlich auch offen war für Leute, die nicht von der Schule Sonia Baldis kamen.
Ich organisierte einige Modenschauen und Schönheitswettbewerbe, brachte etliche Leute (auch ältere Menschen, Babies und sogar Hunde; was eben so gefordert wurde) in Werbespots (Commercials) unter, hatte Modelle bei verschiedenen Jeansmarken und Modedesignern - und ich will nicht leugnen, daß mir das ziemlich gut gefallen hat. Ich machte etwas, was viele Männer vielleicht gerne täten, aber sich nicht trauen oder einfach nicht die Gelegenheit dazu haben.
1996 steuerte ich die Models zu einer Modenschau in der Deutschen Botschaft bei, einer Benefizveranstaltung zugunsten einer gemeinnützigen Organisation namens OBSA. Der Botschafter saß in der ersten Reihe und lächelte zufrieden, als die Damen auf dem Laufsteg an ihm vorbei stolzierten. Alle waren happy, und am 3. Juli 1996 habe ich ein Dankesschreiben von OBSA für meine Mitwirkung an jener Modenschau erhalten, das ich bis heute aufbewahre.
Später, als ich schon als Einwanderungshelfer arbeitete, drehte mir dann ein Mitarbeiter der Botschaft aus meiner Modellagentur einen Strick und erfand das erste Gerücht über mich. (Mir wurde gesagt, es sei der damalige Kanzler der Botschaft gewesen. Ich habe den Mann aber nie persönlich kennen gelernt.) Im Pub des Hotels Bremen behauptete er am Tresen, ich sei irgendwie in dubiose Geschäfte mit Au-pair-Mädchen verwickelt gewesen...
Die Modellagentur war schön und gut, vor allem schön, aber viel Geld konnte man damit in Uruguay nicht verdienen. Claudia Schiffer war leider bei Elite Models beschäftigt (oder war es Ford?) und nicht bei Runway.
Viel lukrativer war hingegen das Geschäft mit Werbedamen (span. “Promotoras”) für Supermärkte und Messen usw. Diese Promotoras waren in den 90ern hier allgegenwärtig und ein für mich neues Phänomen, das ich aus Deutschland nicht kannte.
Hier wurde einem in Einkaufszentren, Supermärkten und auch auf der Straße dauernd etwas angeboten von mehr oder weniger feschen jungen Frauen: Schokolade, eine Weinprobe, Schnaps, Parfüms, Hautcremes, aber auch Schnellgerichte und was man sich überhaupt so vorstellen kann. Da sah ich bessere Verdienstmöglichkeiten als mit meiner kleinen Modellagentur, und so orientierte ich meine Agentur um: aus “Runway Models” wurde schlicht die “Agencia Runway”, die “Agentur Runway”, und 'meine Mädels' wurden nun Promotoras. Das war im Oktober 1996.
Als Kunden hatte ich dann u.a. einen der großen Brotfabrikanten hier, einen großen Käse- und Milchproduktehersteller und die größte uruguayische Schokoladenfabrik. Hostessen und Promotoras von mir tummelten sich auf der Montevideo Motor Show, in der Expo Prado und was es sonst noch so an Messen und Ausstellungen in Montevideo gab.
Mein lukrativster Kunde war die Beiersdorf AG, d.h. die deutsche Marke Nivea. Die hatten Tag für Tag gut ein halbes Duzend Promotoras von mir als Verkäuferinnen in Supermärkten und Shopping Centers.
Inzwischen hatte das Internet seinen Siegeszug angetreten. Ich wollte für meine Agentur eine Webseite machen und fing an mich mit HTML, FrontPage und Java-Appletts usw. zu befassen. Das machte mir soviel Spaß, daß ich, als die Webseite annähernd fertig war, beschloß die Promotionsagentur an den Nagel zu hängen und als Webdesigner zu arbeiten. Das war im Oktober 1998.
Damals war das möglich, in diese Branche so einfach einzusteigen, vor allem hier in Uruguay. Die Internettechnologie war noch simpel, und was zählte, war das Ergebnis, und nicht eventuelle Ausbildungen, die man entweder vorweisen konnte oder auch nicht.
Die Promotionsagentur andererseits war Streß, weil dauernd irgendwo ein Problem auftauchen konnte und auch tatsächlich auftauchte. Und dann mußte man (das heißt ich) wie die Feuerwehr an den Einsatzort und das Problem lösen. Außerdem hatte man nicht einmal an Wochenenden frei. Ganz besonders die Wochenenden waren intensive Arbeitstage. Das waren die wichtigsten Verkaufstage, und es mußte die Supervision gemacht werden.
Also sprach einiges für einen erneuten Wechsel.
Fortsetzung folgt.
Saludos, Manfred
Zuletzt geändert von
=MaBu= am Samstag 15. Januar 2011, 19:00, insgesamt 2-mal geändert.
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